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Monday, May 9, 2022

Das sind die Hochburgen der deutschen Wehrtechnik - FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung

„Unternehmen mit Weltruf haben hier ihren Sitz“, heißt es auf der Internetseite der Stadt Oberndorf am Neckar. Das Ende des Kalten Krieges wird als eine „Strukturkrise“ bezeichnet, die die Stadt „dank des fundierten Fachwissens der Einwohner um die Wehr- und Sicherheitstechnik, die Mechanik und die Präzisionstechnik rasch überwunden“ hatte.

Spätestens seit dem Krieg in der Ukraine und der Zeitenwende in der deutschen Rüstungspolitik ist diese „Strukturkrise“ ohnehin vorbei. In Oberndorf war man aber auch vor der Zeitenwende schon stolz auf die Waffenproduktion. Denn die Rüstungsindustrie hat in dem Städtchen, in dem 14.000 Einwohner leben, eine mehr als 200 Jahre lange Geschichte. 1811 zog die Königlich Württembergische Gewehrfa­brik in ein früheres Augustinerkloster ein. Gut 60 Jahre später gründeten die Brüder Mauser, die zuvor in der Gewehrfabrik gearbeitet hatten, die Mauserwerke, übernahmen kurz darauf die Gewehrfabrik und formten daraus ein „Unternehmen mit Weltruf“. Ehemalige Mauser-Mitarbeiter gründeten 1949 den Waffenhersteller Heckler & Koch, der heute noch seinen Sitz in Oberndorf hat. Auch der Rüstungshersteller Rheinmetall betreibt ein Fertigungszentrum namens „Niederlassung Mauser“ in der Stadt.

Bosch als Schwergewicht in Baden-Württemberg

Baden-Württemberg wird zwar eine starke Rüstungsindustrie nachgesagt. Wirtschaftlich fällt der Sektor aber kaum ins Gewicht. Das Wirtschaftsministerium schätzt die Zahl der Angestellten in der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie auf 14.200. Es gibt Werke von Mercedes, die dreimal so groß sind. Das Statistische Landesamt zählt knapp 4000 Beschäftigte bei knapp 40 Herstellern „von Waffen und Munition“, die 756 Millionen Euro im Jahr umsetzen.

Dass die Branche insgesamt jedoch größer ist, zeigt sich daran, dass allein die genehmigten Ausfuhren die Umsätze übersteigen: 2019 wurden in Baden-Württemberg Genehmigungen für Rüstungsexporte im Wert von 2,1 Milliarden Euro erteilt. Heckler & Koch ist zwar international bekannt, aber mit knapp 1000 Mitarbeitern und 300 Millionen Euro Umsatz kein Schwergewicht in der Region. Allein der Bosch-Konzern setzt mit 400.000 Mitarbeitern rund 80 Milliarden Euro im Jahr um.

Da nur wenige deutsche Rüstungshersteller börsennotiert sind, gibt es zur Branche wenig aktuelle Daten. Das führt mitunter dazu, dass Gegner der Rüstungsindustrie über viele Fakten gut informiert sind. Selbst das Wirtschaftsministerium verweist auf eine Erhebung der Informationsstelle Militarisierung. Gut 120 Standorte von Unternehmen, die in der Rüstung aktiv sind, listete 2017 der Rüstungsatlas des in Tübingen ansässigen Vereins auf. Das Wirtschaftsministerium nennt drei regionale Cluster: den Bodenseeraum sowie die Regionen Stuttgart und Ulm.

Am Bodensee finden sich Autozulieferer, die einen kleinen Teil ihrer Umsätze mit militärischen Kunden erzielen. Prominentere Vertreter sind der Motorenhersteller MTU Friedrichshafen, der zum britischen Rolls-Royce-Konzern gehört, sowie ZF Friedrichshafen. Der Getriebeexperte ZF ist mit knapp 160.000 Mitarbeitern einer der weltgrößten Autozulieferer und gehört einer Stiftung der Stadt Friedrichshafen. Zudem haben die Rüstungshersteller Hensoldt, Rheinmetall und Airbus Defence hier Standorte. Sie stellen dort Radare und Sensoren für Kampfjets, Elektronik für Luftüberwachung oder Satelliten her.

Das Cluster im Raum Stuttgart ähnelt dem am Bodensee. Daimler Truck, größter Lastwagenkonzern der Welt, stellt auch Militärfahrzeuge her. Der französische Rüstungskonzern Thales hat in Ditzingen bei Stuttgart seine Deutschlandzentrale. Auch andere Autozulieferer, die wegen ihres zivilen und militärischen Geschäfts Dual-Use-Hersteller genannt werden, sind hier aktiv. Zudem gibt es Standorte von IT-Unternehmen, die für die Militärs arbeiten.

Im Cluster Ulm wird laut Wirtschaftsministerium vor allem Radartechnik hergestellt. Zudem residiert in Ulm ein weiterer Hersteller von Handfeuerwaffen: Carl Walther, einst in Zella-Mehlis im Thüringer Wald gegründet und nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs nach Ulm umgezogen.

Die Werften in Norddeutschland

Die Sonne schien, der Himmel war blau, als in Hamburg kurz nach Ostern die Taufe der Korvette Köln gefeiert wurde, das erste von fünf dieser Boote der Kriegsschiffklasse K130, die aktuell bei norddeutschen Werften in Arbeit sind. Zum Wetter passte die Stimmung der Anwesenden, die sich über die Stärkung der deutschen Marine freuten und auch über den öffentlichen Meinungsumschwung in Sachen Rüstung. „Jetzt braucht man sich nicht mehr verstecken“, frohlockte ein Manager der beteiligten Werften.

Das neue Selbstbewusstsein der Branche sollte bald zu einem frischen Schub an Aufträgen führen, hofft die Industrie. Sie findet Unterstützung der Militärs: „Der Bestand an Korvetten hätte schon früher auf zehn anwachsen sollen. Das ist aber aus Haushaltsgründen immer wieder verschoben worden“, erinnerte in seiner Festrede der Inspekteur der Marine, Vizeadmiral Jan Christian Kaack.

Tatsächlich gab es in den 1990er Jahren sogar den Plan, insgesamt 15 Korvetten für die deutsche Marine zu bauen. Die Köln ist die erste Korvette des zweiten Fünfer-Loses. Für das nächste Los hofft Tim Wagner, Chef der NVL-Gruppe (Naval Vessels Lürssen), auf einen schnellen Zuschlag – weil dann identische Boote gebaut werden könnten, mit allen Effizienzvorteilen, die daraus entstünden.

Die 89 Meter langen Korvetten mit Platz für 71 Personen sind bisher häufig in Überwachungsmissionen eingesetzt, eignen sich aber auch als echte Kampfschiffe, ausgestattet mit Flugkörpern und Rohrwaffen und vorbereitet fürs Minenlegen. Zur Flotte der Deutschen Marine gehören zudem zwölf Fregatten, zehn Minenjagdboote, sechs U-Boote, drei Einsatzgruppenversorger, zwei Betriebsstofftransporter, sechs Tender und drei Flottendienstboote. Ob das 100-Milliarden-Euro-Budget des Sondervermögens zu einem großen Aufbau der Flotte führen wird, bezweifelt man beim Verband für Schiffbau und Meerestechnik (VSM). „Das Geld reicht nur für das, was von der Bundeswehr schon vor dem Ukrainekrieg als Defizit definiert wurde“, sagt Hauptgeschäftsführer Reinhard Lüken im Gespräch mit der F.A.Z. ernüchtert. „Der Begriff Aufrüstung ist daher irreführend.“

Was zusätzlich beschafft wird, landet wiederum nicht immer in den Auftragsbüchern der deutschen Werften. Den größten Tiefschlag erlitt die Branche, als vor gut zwei Jahren der Auftrag für den Bau von vier Kampfschiffen an den niederländischen Schiffsbauer Damen ging – mit 5,3 Milliarden Euro Volumen der wohl größte Auftrag der Deutschen Marine seit Jahrzehnten. Die Einkäufer der Militärs hatten sich damals – aus streng wirtschaftlicher Sicht – für die ausländische Offerte entschieden. Die Mehrzweck-Kampfschiffe sorgen indes auch in Deutschland für Beschäftigung, weil Damen einen bedeutenden Teil der Aufgaben an deutsche Werften weitervergeben hat.

U-Boote der Dakar-Klasse Bilderstrecke

Deutsche Rüstungshersteller : Deutsche Rüstungshersteller und ihre Produkte

„Die deutschen Marinewerften haben Topprodukte. Wir müssen keinen Vergleich scheuen, auch nicht mit anderen in der EU“, betont Verbandschef Lüken. Diese Leistungsfähigkeit hänge elementar von den Exportmärkten ab, er stellt aber auch klar: Nur durch Aufträge aus dem Ausland komme man auf das Volumen, das eine kontinuierliche Auslastung, Effizienz und Innovationskraft ermögliche.

So stolz die Werften auf ihre Arbeit sind, so verschwiegen agieren sie, wenn es um Kennzahlen geht: Nur von TKMS (Thyssenkrupp Marine Systems) ist bekannt, dass 6500 Mitarbeiter im Jahr rund 2 Milliarden Euro mit dem Verkauf von U-Booten umsetzen. Selbst der VSM beklagt, es gebe keine präzisen Zahlen über die Branche, schon gar nicht über den militärischen Teil. Alle Werft-Unternehmen zusammen (einschließlich Reparaturbetriebe) sollen 2021 einen Umsatz von insgesamt 7 Milliarden Euro realisiert haben, nach 5 Milliarden Euro im Jahr zuvor. Ein Drittel davon, so wird geschätzt, dürfte auf den Rüstungsbereich entfallen.

Die starke Umsatzschwankung hängt damit zusammen, dass die Branche es mit insgesamt sehr niedrigen Stückzahlen und großen Einzelumsätzen zu tun hat. Beispielsweise beläuft sich das Auftragsvolumen für die fünf Korvetten auf 2 Milliarden Euro. Vergeben wurde es an die Arbeitsgemeinschaft ARGE K130 unter der Federführung von NVL und Beteiligung der Werften TKMS und German Naval Yards Kiel sowie zahlreicher Zulieferer aus der Hightech-Branche.

Wesentliche Leistungen wie etwa Schiffsbetriebsanlagen und militärische Systeme würden von Zulieferern gestellt, vielfach aus Baden-Württemberg und Bayern, heißt es bei NVL, wo man auch die strategische Bedeutung der Branche betont: „Marinevorhaben leisten einen wesentlichen Beitrag zum Erhalt und Ausbau diverser Schlüsseltechnologien, die Deutschland benötigt, um auch weiterhin die nationale Souveränität erhalten und absichern zu können.“ Zu diesen Technologiefeldern zählten unter anderem Aufklärungssensorik, Kommunikations- und Kryptotechnologien.

Panzer und Jets aus Bayern

In Bayern sind die Ausrüster für Heer und Luftwaffe traditionell am stärksten vertreten. Viele Standorte in der Umgebung Münchens, die einst beim Aufbau der ehemaligen Daimler-Tochtergesellschaft DASA entstanden, sind heute unter der Regie von Airbus Defence and Space zu finden, einer Tochtergesellschaft der deutsch-französischen Airbus-Gruppe, die auch zivile Flugzeuge herstellt. Das Werk in Manching ist der Nukleus der militärischen Aktivitäten in Deutschland: Dort werden seit Jahren die Kampfjets des europäischen Eurofighter-Konsortiums hergestellt. Darüber hinaus rüstet Airbus Defence die Luftwaffe mit fast allem aus, was fliegt: mit dem Militärtransporter A400M, dem Kampfhubschrauber Tiger sowie der jetzt von Deutschland, Frankreich und Spanien geplanten Euro-Drohne.

Die Auslastung der rund 25.000 Arbeitsplätze, die zurzeit auf die Eurofighter-Produktion an 46 deutschen Standorten entfallen, hängt von Folgeaufträgen der deutschen Militärs und den Luftwaffen anderer NATO-Staaten ab. Dabei reicht der einmalige Schub durch das geplante „Sondervermögen“ für die Bundeswehr von rund 100 Milliarden Euro aus Sicht von Michael Schöllhorn keineswegs aus: „Wir werden dauerhaft 2 Prozent des Bruttoinlandsproduktes im Wehretat reservieren müssen“, ist der Chef von Airbus Defence and Space überzeugt. Dadurch steigt das deutsche Rüstungsbudget schon in diesem Jahr von 50 Milliarden Euro auf mehr als 70 Milliarden Euro.

Schöllhorn rechnet zurzeit fest damit, dass die Luftwaffe mindestens 40 Eurofighter als Ersatz für ihre Tornado-Jets bestellt, die aufgrund ihrer veralteten Technik spätestens 2030 aus den Beständen verschwinden müssen. An den dafür benötigten Komponenten für die elektronische Kriegsführung tüfteln die Airbus-Entwickler in Manching mit Hochdruck. Schließlich sollen die hochgerüsteten IT-Systeme mittelfristig Eingang finden in das von Deutschland und Frankreich gemeinsam geplante Flugzeug- und Drohnensystem FCAS, das von 2040 an wiederum den Eurofighter und Frankreichs Kampfjet Rafale ablösen soll. Mit im Boot für das paneuropäische Großvorhaben, in das über mehrere Jahre von allen beteiligten Nationen bis zu 100 Milliarden Euro investiert werden sollen, sitzen auf deutscher Seite Zulieferer aus der bayerischen Region, die mit Airbus Defence schon seit Jahren auch für andere Rüstungsprojekte eng kooperiert haben: allen voran der 2017 von Airbus abgetrennte und inzwischen börsennotierte Elek­tronik-Ausrüster Hensoldt, der Flugmotorenhersteller MTU Aero Engines oder die militärischen Spezialausrüster Rohde & Schwarz und Diehl Aerospace, eine Tochtergesellschaft des gleichnamigen Familienunternehmens.

Einige von ihnen sind auch seit Jahren als Zulieferer für Krauss-Maffei Wegmann (KMW) aus München und dessen Kooperationspartner Rheinmetall im Geschäft. Beide Panzerhersteller sind mit Produkten wie Leopard, Puma oder Boxer sowie mit der Panzerhaubitze 2000 nicht nur die Hoflieferanten der Bundeswehr, sondern auch die Ausrüster der Armeen anderer NATO-Staaten. Angesichts der zersplitterten Rüstungsindustrie in Deutschland und des Zwangs, den Einsatz der Waffen möglichst innerhalb der europäischen Streitkräfte zu standardisieren, stand vor Jahren eine Fusion zwischen den beiden Panzerherstellern zur Debatte. Doch der Vorstoß von Rheinmetall scheiterte damals am Widerstand der Gesellschafter des familiengeführten Unternehmens.

Stattdessen favorisierte KMW eine europäische Lösung und verbündete sich vor sieben Jahren mit dem französischen Staatskonzern Nexter. Unter dem gemeinsamen Dach von KNDS wollen beide einen Nachfolger für den Leopard 2 entwickeln, der offiziell mit MGCS (Main Grund Combat System) firmiert. Bis dahin agieren KMW als Verkäufer von schwerem Kriegsgerät und Nexter als Hersteller von Leclerc-Panzern und Artillerie jeweils in Eigenregie. Gleichzeitig hofft der deutsch-französische Panzerhersteller, weitere Hersteller in Europa als Partner zu gewinnen und so die Standardisierung voranzutreiben. Gegenwärtig prüft KNDS, die zum Verkauf stehende Landsystem-Sparte des italienischen Rüstungsherstellers Leonardo zu übernehmen.

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