Extrem leichte, kleine, zweitürige Mittelmotor-Sportwagen mit Hinterradantrieb, agilem Fahrverhalten und fast ohne Kofferraum prägen seit Jahrzehnten das Markenimage von Lotus. Und jetzt kommt der Lotus Eletre – bisher war das Auto nur unter seinem lotusinternen Arbeitstitel Typ 132 bekannt. Der rein elektrisch angetriebene SUV hat drei Meter Radstand, vier Türen und bis zu fünf Sitzplätze, Allradantrieb und gleich zwei Kofferräume. Mehr Gegensatz zur Tradition geht kaum – wir klären, ob das gutgeht.
Abmessungen und Aerodynamik
Eletre klingt auch auf Englisch wie eine Anspielung auf "electric". Aber zum Modellnamen Eletre verweist Lotus zum einen auf seine Tradition, dass die Namen der meisten Lotus-Modelle mit einem "E" beginnen. Bis auf den Seven und den 340R (die 2- und 3-Eleven-Modelle lassen wir mal als mit einem "E" beginnend durchgehen) fangen in der Tat sämtliche Lotus-Modellnamen mit einem "E" an. Außerdem, so die Briten, heiße Eletre auf Ungarisch "zu neuem Leben erwachen". Passt irgendwie zum ersten Lotus-SUV.
Der Eletre ist ganz klar ein Riesending: 5,10 Meter lang, 2,23 Meter breit (mit Außenspiegeln) und 1,63 Meter hoch – aber optisch ist der neue SUV eigenständig. Die Karosserie ist sichtbar auf eine optimierte Luftführung ausgelegt. Über die ansonsten geschlossene Front gelangt Fahrtwind rechts und links unter der Haubenkante durch zwei große Öffnungen auf die Oberseite. Von dort strömt die Luft über Frontscheibe und Dach Richtung Dachkanten-Spoiler. Dieser lenkt den Luftstrom nach unten und hält ihn somit am Auto – Abtrieb entwickelt er keinen. Außerdem ist der Dachkantenspoiler am Heck zweigeteilt – in der Mitte fehlt ein großes Stück. Dies muss so sein, damit der Sichtbereich des aus dem hinteren Dachbereich ausfahrbaren Lidars (Light detection and ranging – System zur optischen Abstands- und Geschwindigkeitsmessung per Laser) nicht verdeckt ist. Am unteren Ende der Heckscheibe prallt die Luft auf einen automatisch verstellbaren Heckspoiler, der den Abtrieb regelt.
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Die Karosserie ist sichtbar auf eine optimierte Luftführung ausgelegt.
Das Fassungsvermögen der Kofferräume ist noch nicht endgültig geklärt. Vorläufig gibt Lotus 400 Liter für das Heckabteil und 77 Liter für den vorderen Kofferraum an. Als britische Marke sträubt sich Lotus ein bisschen gegen den amerikanischen Begriff Frunk für Front Trunk (Front-Kofferraum) – schließlich heißt Kofferraum auf Englisch Boot. Aber nicht nur die beiden alltagstauglichen Kofferräume sind für Lotus Neuland, auch in den Vordertüren und in der Mittelkonsole gibt es ordentlich dimensionierte Ablagefächer. In die Fächer der Vordertüren passt jeweils eine Ein-Liter-Flasche.
Das Exterieur
Außerdem trägt der Eletre einen aus großen Waben bestehenden, tief sitzenden Frontgrill. Die einzelnen Tortenstück-Segmente dieser Waben öffnen sich automatisch, wenn die Antriebseinheit des SUV Kühlung braucht. Sind die Waben geschlossen, gelangt die Luft über seitliche Öffnungen zu den Fahrzeugflanken, wo sie beispielsweise die sogenannten Air Curtains (Luftvorhänge) vor den Rädern bildet und damit ansonsten in den Radhäusern auftretende Verwirbelungen minimiert. In die Türen sind große seitliche Führungen gepresst, damit die Luft am Fahrzeug entlang nach hinten strömen und dort zum einen die Air Curtains für die Hinterräder bilden und zum anderen zu den durchströmten C-Säulen gelangen kann, die wegen ihrer Bauart wiederum den Luftstrom so lange wie möglich am Fahrzeug halten. Und die Luftführungen in den Türen sorgen gemeinsam mit den schwarz lackierten Säulen und dem ebenso schwarz lackierten Dach auch dafür, dass das Auto optisch nicht so hoch wirkt, wie es tatsächlich ist.
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Die einzelnen "Tortenstücke" des Wabengrills öffnen sich, wenn Kühlung benötigt wird.
Als Scheinwerfer bietet Lotus optional Matrix-LED-Licht an. Beim Ein- und Aussteigen gibt es eine große Lichtshow und sowohl vorne als auch hinten zeigen die Scheinwerfer auf Wunsch den Ladestand der Batterie mithilfe eines grünen Lichtbalkens an.
Das Interieur
Den Innenraum des Eletre haben die Designer großzügig und modern eingerichtet. Das Thema Ledersitze hat sich bei Lotus für den europäischen Markt erledigt: Die Bezüge bestehen aus recycelten Materialien und Wollstoffen – entwickelt vom dänischen Spezialisten Kvadrat, der schon seit Jahren hochwertige Bezugsstoffe für Land Rover herstellt. Die Materialien sollen nur halb so schwer wie Leder sein. Klassischer Kunststoff ist im Innenraum nicht zu sehen – alles ist mit Stoffen oder Carbon abgedeckt. Die Zierelemente im Innenraum produziert Lotus aus dem Verschnitt der Carbon-Außenelemente.
Es gibt entweder eine viersitzige Einzelsitzanlage oder fünf Sitze – Zweiteres dürfte die in Europa bevorzugte Ausstattung sein. Besonders in der Ansicht von hinten fällt auf, dass die Vordersitze wie Sport-Sitzschalen geformt sind. Aufgrund des drei Meter langen Radstandes genießen die hinten Sitzenden reichlich Beinfreiheit.
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Recycling-Materialien statt Leder: Lotus setzt verstärkt auf textile Materialien vom Spezialbetrieb Kvadrat aus Dänemark.
Cockpit und Connectivity
Bei den Instrumenten-Bildschirmen erinnert sich Lotus an einen Teil seiner DNA: Reduktion aus das Nötigste. Also sitzen vor Fahrer und Beifahrer zwei nur drei Zentimeter hohe Bildschirmstreifen, die nur die nötigsten Informationen anzeigen – Lotus spricht von einem Technologieband. In der Mittelkonsole prangt ein 15,1 Zoll (38,4 Zentimeter) großes Infotainment-Display, das sich nach schräg vorn klappen lässt, damit es optisch nicht so störend wirkt. Allerdings können datenhungrige Fahrer entspannt bleiben: Für sie gibt es ein superkomfortables Head-up Display, das fahrrelevante Informationen in die Frontscheibe spiegelt. Klassische Außenspiegel gehören zum Serienumfang, gegen Aufpreis gibt es Kamera-Außenspiegel – deren Bild zeigen dann in den Türen angebrachte Bildschirme. Die Lotus-Designer betonen, dass sie die Bildschirme so hoch wie irgend möglich positioniert haben – sehr nahe an der Fenster-Unterkante.
Das Serien-Soundsystem kommt vom im englischen Maidstone ansässigen Spezialisten KEF. Das 800-Watt-System arbeitet mit 15 Lautsprechern. Während diese Variante KEF Premium heißt, können Kunden auch das optionale KEF-Reference-System ordern – dann arbeitet die Technik mit 1.500 Watt und 23 Lautsprechern. Als Verbindungsmöglichkeit mit der Außenwelt beherrscht der Eletre auch 5G und Software-Updates kommen drahtlos ins Auto. Den Fahrzeug- und Ladestatus sowie die Fahrzeugposition kann der Fahrer von außen mit seinem Handy überwachen – eine Vielzahl an weiteren fernsteuerbaren Funktionen soll ebenfalls zur Verfügung stehen.
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In der Mittelkonsole prangt ein 15,1 Zoll (38,4 Zentimeter) großes Infotainment-Display, dass sich nach schräg vorn klappen lässt.
Plattform und Fahrwerk
Der Eletre baut auf einer ausschließlich für Elektroautos gedachten Skateboard-Plattform auf, die Electric Premium Architecture (EPA) heißt. Lotus gehört seit Ende Mai 2017 zum chinesischen Autohersteller Geely, der zum Beispiel auch Volvo, Polestar, Lynk & Co sowie Proton besitzt. Den Verdacht, dass Geely jetzt Plattformen entwickelt, auf denen dann die Modelle aller seiner Marken aufbauen, weist Lotus weit von sich. Der Eletre sei am Sitz von Lotus' Designabteilung im englischen Coventry gestaltet, in Deutschland (Lotus Technology Innovation Center im an den Frankfurter Flughafen angrenzenden Raunheim) und Schweden entwickelt und soll in China vom Band laufen. Trotzdem soll die EPA-Plattform ausschließlich Lotus gehören. Der schwedische Entwicklungsstandort Göteborg weist darauf hin, dass Volvo-Ingenieure am Lotus-SUV mitentwickelt haben. Zum einen scheint Geely großen Wert auf eine technische Eigenständigkeit seiner Marken zu legen. Zum anderen ist es aber wahrscheinlich, dass die EPA-Plattform in einer modifizierten Version auch anderen Konzernmarken zur Verfügung steht.
Sowohl die Plattform als auch die Karosserie fertigt Lotus aus Aluminium – die Karosserie besteht zudem aus Carbon-Elementen. Als Gewicht kommen am Ende zirka zwei Tonnen heraus – das ist für einen Lotus wahnsinnig viel, aber für so einen großen Elektro-SUV eher wenig. Auf das ausführliche Datenblatt sind wir schon mal gespannt. Hinten führt eine Fünflenker-Aufhängung die Räder, zur vorderen Aufhängung gibt es noch keine Informationen. Eine Luftfederung mit aktiver Dämpferkontrolle gehört zum Serienumfang, über die Bremsen geregeltes Torque Vectoring und eine Hinterachslenkung gibt es gegen Aufpreis. Serie sind die Fahrmodi Range, Tour, Sport und Offroad, die die Lenkung, die Dämpfereinstellung, die Einstellung des Antriebsstrangs und das Ansprechverhalten des Fahrpedals anpassen. Die Räder des Eletre sind optional 23 Zoll groß – serienmäßig sind 22-Zöller. Wiederum gegen Aufpreis gibt es Carbon-Keramik-Bremsen mit Zehnkolben-Sätteln an der Vorderachse.
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Die Räder des Eletre sind optional 23 Zoll groß – serienmäßig sind 22-Zöller.
Assistenzsysteme und Autonomes Fahren
In Sachen Assistenzsysteme bietet der Eletre alles, was Stand der Technik ist (adaptiver Abstandstempomat, Front- und Heck-Kollisionswarner, Verkehrszeichen-Erkennung, Türöffnungswarner, Spurhalteassistent, Spurwechselassistent, Spurverlassenswarnung, Anwesenheits-Erkennung von Kindern, automatischer Notruf) – und noch mehr.
Laut den Lotus-Verantwortlichen kann der SUV ab Marktstart autonom nach Level 2+ fahren, obwohl seine Technik bereits für Level 4 ausgelegt ist. 4 wäre ein enorm hohes Autonomie-Level, schließlich wäre mit Stufe 5 Vollautonomie erreicht – dann müsste kein Fahrer mehr im Auto sitzen. Aktuell können die meisten neuen Autos nur teilautonom nach Level 2 fahren, bisher haben nur die Mercedes S-Klasse und der EQS die Zulassung, teilautonom nach Level 3 zu fahren. Zur technischen Umsetzung der Teilautonomie nach Level 4 ist der Eletre mit insgesamt vier ausfahrbaren Lidar-Sensoren ausgerüstet: Einer sitzt an der vorderen Dachkante, zwei weitere an den Seiten über den vorderen Radhäusern und der vierte ist der bereits genannte an der Heck-Dachkante. Sollte der Eletre tatsächlich teilautonom nach Level 4 fahren können, müssen die Verkehrsbehörden der einzelnen Länder den SUV auch noch für diese Autonomiestufe zulassen.
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Der Dachkantenspoiler am Heck ist zweigeteilt – in der Mitte fehlt ein großes Stück, damit der Sichtbereich des aus dem hinteren Dachbereich ausfahrbaren Lidars nicht verdeckt ist.
Akku, Antrieb und Dynamik
Der Eletre ist immer mit Allradantrieb ausgerüstet – für jede Achse ist jeweils ein Elektromotor zuständig. Gemeinsam sollen die Triebwerke über 441 Kilowatt (600 PS) leisten. Von null auf 100 km/h soll der Eletre in unter drei Sekunden spurten. Maximal sind für Teile der deutschen Autobahn interessante 260 km/h drin.
Die Batterie mit einer Kapazität von über 100 Kilowattstunden soll Strom für eine Reichweite in Höhe von 600 Kilometer liefern. Sie ist mit der enormen Leistung von 350 Kilowatt innerhalb von 18 Minuten nachladbar. Und für alle, die zu Hause ohne Wallbox laden: Der Wechselstromanschluss des Eletre verträgt 22 Kilowatt Leistung. Das Antriebssystem arbeitet mit einer Spannung von 800 Volt – wie bei Rimac und Porsche, aber auch Hyundai.
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Die Batterie mit einer Kapazität von über 100 Kilowattstunden soll Strom für eine Reichweite in Höhe von 600 Kilometer liefern.
Preise und Marktstart
Die Produktion des Lotus Eletre beginnt noch in diesem Jahr, die ersten Auslieferungen sind dann für Anfang 2023 geplant. Die Preise gehen bei zirka 100.000 Pfund los – aktuell umgerechnet sind das 118.536 Euro.
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Das ist genau der richtige Ansatz. Sportwagen und Elektrifizierung: Das passt.
Das ist der falsche Weg. In den Sportwagen gehört ein Verbrenner. Und wenn das nicht geht, sollte etwas anderes her als Batterie-Technik.
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Fazit
Klein, leicht und ein kostengünstiger Einstieg in die Welt der Sportwagen – das war Lotus lange Zeit. Und jetzt? Jetzt gibt es mit dem Eletre einen großen, schweren Elektro-SUV, der vollgepackt ist mit modernster Technik, bei dem die Insassen auf nichts von dem verzichten müssen, was auch andere Oberklasse-SUV bieten und der bei Bedarf sogar hochgradig autonom fahren kann.
Ist das noch Lotus? Auf gar keinen Fall. Jedenfalls nicht so, wie wir die Marke kennen. Es könnte somit den ein oder anderen Puristen geben, der diese Entwicklung ablehnt. Selbst denen könnte der Eletre aber gefallen – bei ihm beweisen die Lotus-Ingenieure nämlich jede Menge Geschick, was der Marke nützen dürfte.
Der Eletre ist derart aerodynamisch optimiert, dass man ihm seine Luftführung direkt ansieht. Große Luftöffnungen an der Front und den Seiten wirken technisch dramatisch und sind ganz im Sinne von Lotus-Gründer Colin Chapman, der gern gesagt hat: "Nichts ist leichter als ein Loch." Der Innenraum des Eletre ist großzügig geschnitten, äußerst modern gezeichnet und er wirkt trotz der maximalen Ausstattung mit State-of-the-Art-Technik aufs Wesentliche reduziert. Das Luftfahrwerk wird den Zweitonnen-SUV je nach Bedarf sportlich oder bequem machen und die optionale Hinterachslenkung sorgt bei dem großen Auto für ein Plus an Wendigkeit. Und der über 441 kW (600 PS) kräftige Antriebsstrang pfeffert den Eletre angeblich in unter drei Sekunden auf 100 km/h – selbst für die meisten klassischen Sportwagen ist so ein Fabelwert unerreichbar. Und auch die 260 km/h Höchstgeschwindigkeit sind für Lotus Neuland. Die Marke stand bisher für heftigen Kurvenspaß; Geschwindigkeit auf der Geraden stand bei den Entwicklern eher im unteren Bereich des Lastenhefts.
Lotus möchte Autos verkaufen – viele Autos. 2021 haben die Briten 1.600 Fahrzeuge ausgeliefert – 2028 sollen es 100.000 sein. Dass so ein dramatischer Sprung nicht mit fahrspaßigen, aber auch nischigen und alltagsuntauglichen Sportwagen gelingt, ist den Entscheidern bei der Lotus-Mutter Geely klar. Die Kunden wollen SUV – und die bekommen sie jetzt auch von Lotus. Der Ruf der Marke ist gut und sie muss mit dem Bau eines SUV das Unmögliche versuchen. Die Umsetzung ist gelungen: In dem Eletre steckt so viel Lotus, wie in einem großen Elektro-SUV nur stecken kann.
Lotus Eletre (2022): Rein elektrische SUV-Attacke | AUTO MOTOR UND SPORT - Auto Motor und Sport