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Saturday, August 28, 2021

Jerome Powell riskiert den nächsten «Volcker-Schock» - Neue Zürcher Zeitung - NZZ

Die amerikanische Zentralbank redet neuestens davon, den Fuss vom «geldpolitischen Gaspedal» zu nehmen – aber auch nicht mehr. Sie riskiert damit die Entstehung weiterer wirtschaftlicher, finanzieller sowie institutioneller Ungleichgewichte und nimmt in Kauf, später stärker eingreifen zu müssen.

Jerome H. Powell an einem Hearing im Senat, Aufnahme vom 15. Juli 2021

Jerome H. Powell an einem Hearing im Senat, Aufnahme vom 15. Juli 2021

Sarah Silbiger / Imago

Die Reden der Fed-Vorsitzenden am jährlichen Jackson-Hole-Symposium sorgten in der Vergangenheit zwar immer wieder einmal für Überraschungen, diejenige vom Freitag gehörte nicht dazu. Jerome Powell lieferte beim virtuellen Treffen der wichtigsten Notenbanker der Welt, was im Vorfeld mehr oder weniger erwartet worden war – und wenigstens die Investoren scheinen damit zufrieden zu sein. Tatsächlich legten die Aktienkurse an der Wall Street danach auf überhöhtem Bewertungsniveau weiter zu, der Dollar gab leicht nach, und die Renditen am Bondmarkt veränderten sich kaum.

Powell ignoriert die hohe Inflationsrate

Hätte Powell den Mut gehabt, etwas Prägnantes zu sagen, wären die Reaktionen deutlich anders ausgefallen. Faktisch bekräftigte der Vorsitzende der amerikanischen Notenbank (Fed) lediglich den sich allenfalls vage abzeichnenden Plan, noch in diesem Jahr mit der Rücknahme der lockeren Geldpolitik zu beginnen, und er erläuterte gleichzeitig ausführlicher, warum er davon ausgeht, dass die in jüngster Zeit auf mehr als 5% und damit auf den höchsten Stand seit 30 Jahren gestiegene Inflationsrate im Laufe der Zeit wieder sinken wird.

Entwicklung in den USA, in %

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Geplatzte Internetblase

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Finanzkrise

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Corona-Krise

«Auf der Fed-Sitzung Ende des vergangenen Monats war ich zusammen mit den meisten Teilnehmern des Gremiums der Ansicht, wir sollten das Tempo der monatlichen Wertpapierkäufe im Gegenwert von 120 Mrd. $ in diesem Jahr verringern, falls sich die amerikanische Konjunktur erwartungsgemäss verbessert», sagte er. Seit damals habe die Wirtschaft «weitere Fortschritte in Form eines starken Beschäftigungsberichts für den Monat Juli gemacht, aber auch die weitere Ausbreitung der Delta-Variante des Covid-19-Virus gesehen», fügte er an.

Verzögerte Wirkung der Geldpolitik als Risiko

Powell versuchte sich als Wirtschaftshistoriker und zitierte Erfahrungen aus den 1950er Jahren, die geldpolitischen Entscheidungsträger lehre, «nicht zu versuchen, wahrscheinlich vorübergehende Schwankungen der Inflationsrate auszugleichen». Er und seine Ratgeber argumentieren, so etwas würde mehr schaden als nützen, insbesondere auch in einer Zeit, in der die Zinssätze sehr niedrig seien und nahe an der Null-Prozent-Marke verharrten.

In ihren Augen besteht das Risiko darin, dass es bis zu einem Jahr dauert, bis sich die Änderung der geldpolitischen Rahmenbedingungen in der Wirtschaft bemerkbar macht – möglicherweise also gerade in einem ungünstigen Umfeld. In diesem würde das Wachstum belastet werden, es gäbe weniger neue Jobs, und der Preisauftrieb würde nachlassen. «In der heutigen Zeit, in der es am Arbeitsmarkt noch freie Kapazitäten gibt und die Pandemie noch andauert, wäre so ein Fehler besonders schädlich», erklärt er weiter.

Der amerikanische Leitzins scheint zu tief zu sein

Schätzung und Entwicklung, in %

Taylor Rule Estimate

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Das ist allerdings eine gewagte und einseitige Darstellung. Schliesslich lief es in den 1970er Jahren gerade andersherum. Damals zögerte die amerikanische Zentralbank wie heute und ging lange Zeit davon aus, dass sich der damals starke Anstieg der Lebensmittel- und Energiepreise abschwächen würde. Stattdessen jedoch verharrte die Kerninflation damals auf einem unangenehm hohen Niveau und die Konsumenten stellten sich darauf ein, indem sie zum Beispiel höhere Löhne forderten. In diesem Rahmen entwickelte sich vor etwa 50 Jahren eine Lohn-Preis-Spirale, die sich ständig verstärkte. Der damalige Notenbankchef Paul Volcker musste sie mit deutlichen Zinserhöhungen bekämpfen, die schliesslich zum «Volcker-Schock» führten.

Volcker musste die Laxheit der Vorgänger ausbügeln

Die Zinsen schossen nach dem Politikwechsel steil nach oben. Der Hypothekarzins, für die meisten Amerikaner der wichtigste Satz, kletterte auf über 18%, während die Inflation bei 11% den Höchststand erreichte. 1980 glitten die USA in eine Rezession. Dem Einbruch folgte nach kurzer Erholung eine zweite Rezession. Dennoch blieb das Fed auf dem Bremspedal.

Vermögenspreis-Inflation an der Wall Street unübersehbar

Wert des Wilshire-5000-Indexes zum BIP

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Geplatzte Internetblase 2001

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Finanzkrise 2008/09

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Corona-Krise

Letztlich geht das Fed im Moment mit seinem Zögern bewusst das Risiko ein, eine Fehleinschätzung wie damals zu machen. Jerome Powell betont zwar, die Stimmung der Konsumenten und Unternehmen zu berücksichtigen und ihre Inflationserwartungen sehr sorgfältig zu überwachen. Allerdings drohen die Notenbanker eben aufgrund der verzögerten Wirkung der geldpolitischen Strategien unter enormen Handlungsdruck zu geraten, falls diese sich deutlich verändern sollten. Tatsächlich ist die Inflation ein psychologisches Phänomen. Rechnen plötzlich viele mit steigenden Preisen, wollen sie sich davor schützen, fangen an, Produkte zu horten, und beschleunigen auf diese Weise den Prozess. Manche Beobachter wollen so etwas in Ansätzen schon an den Aktien- und Immobilienmärkten ausgemacht haben.

«Überstimulierung» führt zu Ungleichgewichten

Tatsächlich haben die massiven fiskalischen Stimulierungsmassnahmen und die ultralockere Geldpolitik in den vergangenen Jahrzehnten der Weltwirtschaft zwar immer wieder geholfen, sich von Rückschlägen zu erholen, aber sie haben auch zu enormen Staats- und Unternehmensverbindlichkeiten sowie zu beachtlichen Spekulationen auf Kredit geführt. Die Hauptnutzniesser waren die vermögenden Aktien- und Immobilienbesitzer, während sich die normalen Arbeitnehmer mit den Turbulenzen an den Arbeitsmärkten und mit dem Preisauftrieb abfinden müssen – eine ungemütliche Konstellation. Kein Wunder, plädieren immer mehr Mitglieder des geldpolitischen Gremiums der amerikanischen Zentralbank für einen zügigeren Abschied von der äusserst stimulierenden Strategie.

Je uneiniger sich das Gremium aber ist, desto geringer wird seine Glaubwürdigkeit und desto grösser droht der nächste «Volcker-Schock» zu werden, falls es sich in seiner Einschätzung geirrt hat und falls es schliesslich drastisch durchgreifen muss, um die heutige Trödelei wieder auszugleichen.

Das Wachstum hat seinen Preis

Amerikanische Staatsschulden im Verhältnis zur realen Wirtschaftsleistung

Schulden/BIP

Schulden = BIP

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Finanzkrise

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Corona-Krise

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