Die neue Ära in der deutschen Verteidigungspolitik nach dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine beschert Rheinmetall den größten Auftragsschub in der jüngeren Geschichte. Zudem wird der erwartete Umsatzanstieg in diesem Jahr von zehn auf bis zu 20 Prozent verdoppelt.
Konzernchef Armin Papperger geht davon aus, dass es mindestens fünf bis sieben Jahre dauern wird, bis eine Vollausrüstung der deutschen Streitkräfte beim Heer umgesetzt ist. Vor allem werde Munition benötigt, weil die Depots nahezu leer sind. Vom gesamten geschätzten Munitionsbedarf über 20 Milliarden Euro hofft allein Rheinmetall auf Aufträge über zwölf Milliarden.
Bis erste zusätzliche Munition geliefert werden kann, dauere es mindestens sechs Monate, sagte Papperger. „Bei Munition ist das größte Problem das Pulver – es muss reifen“, so der Konzernchef, andernfalls sei es nicht sicher. Neben Munitionsgroßaufträgen rechnet der Konzern mit 30.000 weiteren Militär-Lkw im Volumen von grob 16 Milliarden Euro.
Papperger listete bei der Bilanzpressekonferenz fünf Projekte auf, die in einer Zeitspanne über grob zehn Jahre Milliardenumsätze bescheren sollen. Dazu zählen etwa zusätzliche Puma-Schützenpanzer über 3,7 Milliarden Euro (zweiter Bauabschnitt), oder eine Bewaffnung des Transportpanzers Boxer bis hin zu Soldatenausstattung.
Insgesamt präsentierte Papperger potenzielle Aufträge über rund 37 Milliarden Euro – die aber noch ausverhandelt und unterschrieben werden müssen. Kurz nach der Bekanntgabe der 100 Milliarden Euro-Finanzspritze als Sondervermögen für den Bundeswehrhaushalt hatte Papperger sogar von einem potenziellen Auftragsvolumen über 42 Milliarden Euro gesprochen.
Kapazitäten aus dem Kalten Krieg reaktivieren
Mit einem erwarteten Umsatzplus von bis zu 20 Prozent sowie den Mega-Aufträgen würde der vom Rüstungsgeschäft immer stärker dominierte Konzern in eine neue Größenordnung wachsen. Zum Vergleich: 2021 kletterte der Konzernumsatz um knapp fünf auf 5,66 Milliarden Euro und der Auftragsbestand wuchs auf 24,5 Milliarden Euro. Unter dem Strich stand ein Gewinn von 333 Millionen Euro.
Rheinmetall sieht sich für die Auftragswelle aus dem Wechsel vom Friedens- in den Verteidigungsmodus als Bundeswehr-Ausrüster gut vorbereitet. Es müssten keine zusätzlichen Werke gebaut werden, weil der Konzern bereits weltweit vertreten ist und in den vergangenen Jahren neue Werke in Betrieb nahm, etwa in Australien.
In der großen deutschen Munitionsfabrik des Konzerns in niedersächsischen Unterlüß bei Celle gebe es nach wie vor alte Kapazitäten aus dem Kalten Krieg, die wieder aktiviert werden können. Zudem sei ein Mehrschichtbetrieb möglich. Weltweit sollen 1.500 bis 3.000 neue Stellen geschaffen werden, davon grob die Hälfte in Deutschland. Papperger sprach sogar von der Möglichkeit, im Rheinmetall-Werk in Australien Boxer-Panzer für Deutschland zu fertigen.
Rheinmetall geht davon aus, dass sich der deutsche Verteidigungshaushalt von 50,3 Milliarden Euro in diesem Jahr auf 70 bis 80 Milliarden Euro im nächsten und übernächsten Jahr erhöht. Der Anteil der Investitionsausgaben dürfte von 12,2 Milliarden Euro in 2022 auf 18 bis 20 Milliarden Euro in den nächsten Jahren steigen.
Rüstungsaufträge auch aus dem Ausland erwartet
An diesem Investitionsbudget hat Rheinmetall als führender Ausrüster des Heeres deutlich vor dem Münchner Konkurrenten Krauss-Maffei Wegmann einen Anteil von 20 bis 25 Prozent.
Aber nicht nur aus Deutschland, auch von anderen Nato-Staaten erhofft und erwartet sich der Düsseldorfer Konzern zusätzliche Aufträge, weil Verteidigungsbudgets mindestens auf die Zwei-Prozent-Quote vom Bruttoinlandsprodukt erhöht werden. Frankreich, Polen, Rumänien, Lettland und Italien haben neben Deutschland bereits höhere Rüstungsausgaben angekündigt.
Daher erhöht Rheinmetall bereits die Aussichten für das laufende Geschäftsjahr 2022. Erste Umsätze von bis zu einer Milliarde Euro seien allein aus dem 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen zu erwarten.
Neben dem erwarteten deutschen Auftragsschub könnten kurzfristig auch aus dem Ausland weitere Aufträge hereinkommen. In Ungarn entsteht eine Munitionsfabrik samt Liefervertrag über etwa 850 Millionen, die Slowakei könnte den Schützenpanzer Lynx für etwa 1,5 Milliarden Euro bestellen.
Und praktisch jeden Tag wird die Entscheidung aus Australien erwartet, ob 400 Rheinmetall-Lynx-Panzer oder ein Konkurrenzmodell aus Südkorea mit einem Auftragsvolumen über etwa vier Milliarden Euro bestellt wird. Rheinmetall könnte auch sein Italien-Engagement ausbauen, wo es auch Pläne für einen neuen Schützenpanzer gibt. Das Unternehmen möchte sich an einem Ausscheidungswettbewerb beteiligen und hält einen Minderheitsanteil am Rüstungskonzern Oto Melara für denkbar.
Lieferung an ukrainische Streitkräfte wohl schon erfolgt
Wie der Rheinmetall-Chef sagte, kann der Düsseldorfer-Konzern auch Bundeswehrmaterial an die ukrainischen Streitkräfte liefern. Aus Andeutungen Pappergers lässt sich ableiten, dass dies auch erfolgt ist. Er verwies aber darauf, dass über Details mit dem Bundessicherheitsrat Stillschweigen vereinbart wurde.
Als größtes Risiko beim Ausbau der Produktion nannte Papperger mögliche Probleme bei der Rohstoff-Versorgung. Die Einkaufsabteilung sei bereits dabei, Stahl, Elektronik und Spezialwerkstoffe zu sichern, wobei schon wegen der Corona-Pandemie Vorräte aufgebaut wurden.
Allerdings käme ein Großteil der Werkstoffe auch aus Russland oder würden in Produkte aus anderen Ländern einfließen. „Das muss kompensiert werden“, so der Konzernchef.
Rheinmetall: Der große Profiteur einer neuen goldenen Rüstungs-Ära - WELT
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