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Thursday, March 10, 2022

EZB will Leitzinsen „schrittweise“ anheben - FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung

Die Europäische Zentralbank (EZB) ebnet den Weg für eine Zinswende – lässt aber noch viel Spielraum für mögliche Reaktionen auf Folgen des Ukrainekrieges. Wie der EZB-Rat, das oberste geldpolitische Gremium der Notenbank, am Donnerstag nach seiner Zinssitzung mitteilte, sollen die Anleihekäufe der Notenbank möglicherweise schneller als geplant beendet werden.

Genannt wird das dritte Quartal dieses Jahres, also der Zeitraum von Juli bis September. Leitzinserhöhungen könne es „einige Zeit“ danach geben. Die Notenbank ersetzte dabei in ihrer Sprachregelung für den Zeitpunkt der ersten Zinserhöhung nach dem Ende der Anleihekäufe das Wort „shortly“, also bald, durch „some time after“, also einige Zeit  danach.

EZB-Präsidentin Christine Lagarde hob hervor, damit schaffe sich die EZB mehr Spielraum in der Frage, wie bald nach dem Ende der Anleihekäufe die Leitzinsen angehoben würden. „Einige Zeit später“ könne sowohl bedeuten, in der Woche danach, als auch Monate später. Man wolle keinen exakten Zeitplan aufstellen, sondern reagiere „datengetrieben“ – je nachdem, wie sich die Wirtschaft auch im Zusammenhang mit dem Ukrainekrieg weiter entwickele.

Die monatlichen Anleihenkäufe im Rahmen des APP-Programms will die EZB nun im April zunächst auf 40 Milliarden Euro verdoppeln. Im Mai will die Zentralbank 30 Milliarden Euro investieren, im Juni dann noch 20 Milliarden Euro. Im dritten Quartal könnten die Käufe frischer Wertpapiere ganz beendet werden, abhängig von der Lage. Ursprünglich wollte die EZB das APP-Kaufvolumen erst von Oktober 2022 wieder auf 20 Milliarden Euro verringern.

EZB setzt Inflationsprognosen hoch

Nach dem starken Anstieg der Inflationsraten im Euroraum von 5,1 Prozent im Januar auf 5,8 Prozent im Februar korrigierte jetzt auch die EZB ihre Prognose für die mittelfristige Inflation nach oben. Noch im Dezember hatte sie 3,2 Prozent für das laufende Jahr veranschlagt, jetzt geht sie von 5,1 Prozent aus. 2023 soll die Teuerungsrate bei 2,1 (statt 1,8) Prozent liegen und 2024 dann auf 1,9 (statt 1,8) Prozent nachgeben. Im Gegenzug senkte die Notenbank die Prognosen für das Wirtschaftswachstum. Für dieses Jahr rechnet sie jetzt mit 3,7 statt 4,2 Prozent.

Der Anstieg der Energiepreise als Hauptgrund der Inflation sei stärker als erwartet und treibe andere Preise mit nach oben, sagte Lagarde. Auch Lebensmittel seien deutlich teurer geworden. Bei den Löhnen hingegen sei bislang kein stärkerer Anstieg feststellbar.

Die EZB betonte die bislang kräftige Erholung der Wirtschaft aus der Pandemie. Allerdings hob Lagarde auch die zusätzlichen Risiken durch den Ukrainekrieg hervor. Für die Inflation könnten die Kriegsfolgen Risiken in beide Richtungen bedeuten: Kurzfristig werde die Inflation durch Energiepreisanstieg sicherlich zulegen, auf längere Sicht könnten die höheren Energiepreise und die Unsicherheit aber auch die Nachfrage im Euroraum belasten. Lagarde führte aus, dass es unterschiedliche Ansichten im EZB-Rat gegeben habe: „Wir haben sehr intensive Gespräche über die aktuelle Wirtschaftslage geführt, über die Aussichten, über die Ungewissheit.“ Einige Ratsmitglieder hätten ursprünglich nichts ändern wollen, andere ohne Bedingungen Änderungen vornehmen wollen. Letztlich habe sich der Rat auf ein Paket geeinigt, dass der EZB „maximale Agilität und Flexibilität“ in Zeiten der Unsicherheit verleihe.

Über mögliche weitere Unterstützung für die Institutionen und Menschen der Ukraine sei die Notenbank mit der Europäischen Union und anderen politischen Institutionen im Gespräch, sagte Lagarde. Dabei könnte es auch um Instrumente wie zusätzliche Swap- oder Repo-Linien gehen, also Devisentausch- oder Kreditgeschäfte gegen Sicherheiten.

Die Reaktionen von Ökonomen waren unterschiedlich. Manchen nannten die Entscheidung der EZB „falkenhaft“, also stark in Richtung einer strafferen Geldpolitik, andere „zu zögerlich“. Jens-Oliver Niklasch von der Bank LBBW sagte, er lese die Ankündigungen der EZB so, dass sie ihre Leitzinsen Ende des Jahres anhebe, wenn nicht noch etwas Unerwartetes passiere. „Die EZB ist entschlossen, die geldpolitischen Zügel anzuziehen, um einer Verstetigung der hohen Inflation entgegenzutreten“, sagte Ulrich Kater von der Dekabank: „Dies steht unter dem Vorbehalt, dass der Ukrainekrieg für die Konjunktur wirtschaftlich verkraftbar bleibt.“

Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer bezeichnete das in Aussicht gestellte Ende der Käufe neuer Anleihen im dritten Quartal als „ersten Schritt, die sehr lockere Geldpolitik zu normalisieren“. Aber bis zur ersten Zinserhöhung sei es noch „ein langer Weg“.

Die Finanzmärkte reagierten deutlich. Der Euro zog an auf 1,1101 Dollar von zuvor 1,1035 Dollar. Der  deutsche Aktienindex Dax weitete seine Verluste am Donnerstag auf fast 3 Prozent auf 13 444 Punkte aus. Auch europäische Staatsanleihen flogen aus den Depots, im Gegenzug zog die Rendite der Bundesanleihe mit zehn Jahren Laufzeit auf 0,27 Prozent.

In der vorigen Sitzung des EZB-Rates Anfang Februar hatte Lagarde für Aufsehen gesorgt, weil sie auf Nachfrage nicht mehr ausschließen wollte, dass die Leitzinsen noch in diesem Jahr steigen könnten. Das hatte die Zinserwartungen an den Finanzmärkten deutlich steigen lassen.

Commerzbank-Chefvolkswirt Krämer hatte sogar damit gerechnet, dass die Notenbank nun in zwei Schritten noch in diesem Jahr die Negativzinsen abschaffen würden. Seit dem Angriff auf die Ukraine sind die Erwartungen für Leitzinserhöhungen aber zurückgegangen. Christian Keller, der Chefvolkswirt der Barclays Bank, erwartet in diesem Jahr jetzt sogar gar keine Zinserhöhungen mehr. In dieser Frage gehen die Einschätzungen der EZB-Beobachter allerdings auseinander.

Die Notenbank steht vor einer großen Herausforderung: Einerseits ist die Inflation stark gestiegen. Das hat die Notenbank auch zur Überarbeitung ihrer Inflationsprognosen gezwungen. Andererseits hat der Ukrainekrieg für neue Unsicherheit auch hinsichtlich der wirtschaftlichen Entwicklung gesorgt.

Jetzt gibt es das schreckliche Kriegsgeschehen. Und mit ihm die Sorge, dass die Wirtschaft in der Eurozone doch schwereren Verwerfungen ausgesetzt sein könnte. Das könnte „Stagflation“ bedeuten: eine sehr schwache Wirtschaftsentwicklung bei gleichzeitig hoher Inflation durch den Energiepreisschock. „Einzelne Vertreter des EZB-Rats haben zuletzt ein Stagflations-Szenario für die Eurozone nicht mehr ausschließen wollen“, sagt Christian Reicherter, Analyst der DZ Bank: „Wir halten es für durchaus wahrscheinlich, dass diese Befürchtungen mit Blick auf das laufende und kommende Quartal Realität werden.“

„Das ist das größte Risiko: Dass wir die gleichen Erfahrungen machen wie in den 1970er Jahren“, sagte der langjährige EZB-Chefvolkswirt Otmar Issing der Nachrichtenagentur Bloomberg. Stagflation sei „die schlechteste Kombination für eine Zentralbank“. Er empfahl den EZB-Ratsmitgliedern, sich auf die Eindämmung der Inflation zu konzentrieren und mit einer Reduzierung der Wertpapierkäufe zu beginnen.

Ökonom Fratzscher erwartet bis zu 10 Prozent Inflation

Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, ging bezüglich der Inflation noch einen Schritt weiter und warnte infolge des Kriegs von einer Teuerung von bis zu zehn Prozent. „Wahrscheinlich wird es im laufenden Jahr Inflationsraten von deutlich über fünf Prozent geben“, sagte er der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. „Im Fall einer Eskalation des Kriegs und immer neuer Sanktionen kann es sogar Richtung zehn Prozent gehen.“

In jedem Fall aber bedeutet die neue Situation mehr Unsicherheit – und Mitglieder des EZB-Rates wie der französische Notenbankchef François Villeroy de Galhau plädierten deshalb für mehr „Optionalität“, das heißt, die EZB solle sich mehr Spielraum offenhalten, um flexibel auf mögliche Kriegsfolgen und den Energiepreisschock reagieren zu können. Das fand offenbar auch Unterstützung anderer Ratsmitglieder. Flexibilität sei das „Gebot der Stunde“, sagte Chefökonomin Fritzi Köhler-Geib von der Förderbank KfW. Der griechische Notenbankchef Yannis Stournaras hingegen hatte öffentlich sogar dafür plädiert, erst mal ganz auf dem alten Kurs zu bleiben – und mindestens bis zum Jahresende weiter Anleihen zu kaufen.

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