Die aufgefrischte Strategie, mit der die Währungshüter des Euro künftig in den Kampf gegen Deflation und Inflation ziehen wollen, könnte man im Grunde auf den berühmten Satz von der Fleischtheke verdichten: Darf’s auch ein bisschen mehr sein?
Dabei wirkt es erst einmal ganz harmlos. Aus „nahe bei aber unter zwei Prozent“, einer ohnehin immer etwas sperrigen Formulierung, wird nun eben künftig die Maßgabe „zwei Prozent“. Gemeint ist damit die Zielgröße für die mittelfristige Inflationsrate im Euro-Raum und damit die wichtigste Richtschnur, an der die Europäische Zentralbank (EZB) ihre Geldpolitik für die rund 350 Millionen Bürger der Währungsunion ausrichtet.
Bisher folgte die EZB zumindest auf dem Papier noch dem Erbe der Bundesbank. In Realität hat sich die Notenbank Europas im Zuge ihrer jahrelangen Krisenpolitik mit Null- und Minuszinsen und üppigen Anleihekäufen von der strengen Regelgebundenheit ihrer Vorgängerinstitution ohnehin längst weit entfernt.
Die Konsequenzen sind erheblich. In der früheren Welt war bei einer Teuerung von 1,7 Prozent das EZB-Ziel schon fast erfüllt, die Notenbank also unter Handlungsdruck, die geldpolitischen Zügel zu straffen.
In der neuen Welt dürften die Währungshüter bei einer Inflationsrate von 1,7 Prozent hingegen noch ganz entspannt bleiben: Bis zur Zwei-Prozent-Marke ist dann noch genug Raum, und ein Über- oder Unterschießen von der selbst gesetzten Marke ja ohnehin im Rahmen der neuen Möglichkeiten. In dieser neuen Strategiewelt wird die EZB also vermutlich erst ab einer Inflationsrate von 2,5 Prozent und mehr wirklich nervös werden.
Was nach wenig klingt, hat große Folgewirkungen. Denn damit werden die Prioritäten weiter verschoben, weg vom Gläubiger, hin zum Schuldner. Gleichzeitig gewinnt die Geldpolitik, die in den vergangenen Jahren ohnehin wortwörtlich außer Rand und Band geraten ist, noch größere Beinfreiheit.
Für Anleger und Sparer bedeutet das: Ein Ende der ultralockeren Geldpolitik ist weiterhin nicht in Sicht. Dafür müssen sie sich künftig auf steigende Inflationsraten einstellen. Und damit auf eine Kombination die erst recht alle Pläne durchkreuzen wird, über das gute alte Sparen den eigenen Wohlstand zu sichern. Geschweige denn zu mehren.
Dass sich die EZB in ihren geldpolitischen Instrumenten künftig auch stärker um den Klimaschutz bemühen will – und damit um ein Gebiet, das bisher allenfalls indirekt etwas mit ihren Aufgaben zu tun hatte – passt da ins Bild. Mehr und mehr ist die Notenbank auf dem Weg zu einer quasi omnizuständigen Superbehörde. Doch je mehr Aufgaben eine Institution hat, desto weniger unabhängig kann sie sein. Das ist die eigentliche Gefahr des Fleischthekenprinzips in der Geldpolitik.
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Neues EZB-Ziel: Mit ihrer neuen Strategie bedroht die EZB den Wohlstand der Sparer - WELT
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