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Thursday, July 8, 2021

Inflationsziel der EZB: Neue Geldpolitik nutzt vor allem verschuldeten Staaten - WELT

Es ist ein Beschluss von historischer Tragweite: Erstmals seit 20 Jahren verpasst sich die Europäische Zentralbank (EZB) eine neue Strategie für die Geldpolitik im Euro-Raum.

Die wichtigste Änderung betrifft den Kern des EZB-Mandats: Künftig zielen die Währungshüter des Euro auf eine Inflationsrate von zwei Prozent. Sie ersetzt die bisherige, stets etwas sperrige Formulierung von „nahe bei, aber unter zwei Prozent“. Zugleich will die Notenbank in Zukunft auch ein vorübergehendes Überschreiten dieser Zielmarke zulassen. „Die neue Formulierung macht klar, dass die zwei Prozent keine Obergrenze sind“, präzisierte es EZB-Präsidentin Christine Lagarde auf der kurzfristig einberufenen Pressekonferenz zum Strategiewechsel.

Was nach einer allenfalls nuancierten Änderung klingt, bedeutet einen entscheidenden Bruch mit der bisherigen geldpolitischen Lesart in der Tradition der früheren Bundesbank. Dort ging es über Jahrzehnte vor allem darum, eine zu hohe Inflation zu verhindern.

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Doch die EZB hat ihr selbst gestecktes Ziel in den vergangenen Jahren, in denen Finanzkrise, Euro-Krise und schließlich die Pandemie die Politik zum Handeln zwangen, nicht über-, sondern unterschritten. Immer wieder war vor allem ein drohender Preisverfall auf breiter Front, die sogenannte Deflation, ein Thema für die Geldhüter – und eben nicht der einstige Angstgegner Inflation.

Dennoch warnen einige Ökonomen vor den Folgen des nun vollzogenen Strategieschwenks hin zu einer sogenannten symmetrischen Geldpolitik. „Weil eine Inflation unter zwei Prozent jetzt als genauso schlecht wie eine Inflation über zwei Prozent gilt, wird es der EZB-Rat noch leichter haben, in den kommenden Jahren eine Fortdauer der extrem lockeren Geldpolitik und der Anleihekäufe zu rechtfertigen“, urteilt Friedrich Heinemann vom Mannheimer ZEW. „Auch der ausdrückliche Verweis, dass gegebenenfalls für eine Übergangsphase eine moderate Zielüberschreitung hingenommen werden muss, schwächt die Verbindlichkeit des Ziels als Obergrenze weiter ab.“

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Damit aber könnten sich auch die Prioritäten immer weiter verschieben: Weg von den Gläubigern und hin zu einer Geldpolitik, die tendenziell mehr Inflation zulässt und damit den Schuldnern, allen voran den stark verschuldeten Staaten, zugutekommen dürfte. Das neue Inflationsziel bedeute keine Verzögerung einer Straffung der Geldpolitik, betonte hingegen Lagarde während der Pressekonferenz: „Wir sind dem Ziel von zwei Prozent verpflichtet.“ Die EZB werde keine dauerhafte signifikante Abweichung von dem Inflationsziel tolerieren.

Klimarisiken sollen künftig die Geldpolitik der EZB beeinflussen

Die neue Strategie soll bereits bei der nächsten Notenbanksitzung am 22. Juli Anwendung finden. Allerdings ist die neue Definition von Preisstabilität nicht die einzige Änderung. Die EZB will künftig auch Klimarisiken stärker in ihrer Geldpolitik berücksichtigen. Beim Kauf von Unternehmensanleihen habe die Notenbank bereits begonnen, „relevante Risiken des Klimawandels“ zu berücksichtigen, teilte Lagarde mit.

Doch auch das ist umstritten, zumal die EZB beim gezielten Kauf von sogenannten grünen Anleihen, die bestimmten Umweltstandards entsprechen, vom bisherigen Prinzip der Marktneutralität abweichen würde. Ausgerechnet die Notenbank liefe dann Gefahr, womöglich zu Verzerrungen an den Finanzmärkten beizutragen.

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Neu ist auch, dass die Kosten für Wohnen im eigenen Haus oder Wohnung künftig in der Inflationsmessung berücksichtigen werden sollen. Bisher fließen in die Inflationsberechnung im Euro-Raum nur die Mieten ein, weshalb Wohnkosten insgesamt nur einen relativ geringen Anteil an der errechneten Teuerung haben. Das hat immer wieder für Kritik gesorgt, denn tatsächlich sind Wohnkosten für viele Haushalte der wichtigste Ausgabenposten.

Angesichts rasant steigender Immobilienpreise unter anderem in Deutschland und Frankreich befürchten viele Ökonomen auch, dass die Inflationsrate mittlerweile sogar zu niedrig ausgewiesen wird und damit nicht mehr ausreichend die Alltagsrealität spiegelt. Entsprechend äußerten sich die meisten Experten positiv über die geplante Änderung – zumindest in diesem Punkt gab es Lob für die EZB.

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