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Sunday, July 4, 2021

Das zweifelhafte Vermächtnis von Jeff Bezos - FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung

Vor wenigen Wochen startete auf der Online-Plattform Change.org eine Petition mit dem Titel: „Lasst Jeff Bezos nicht auf die Erde zurückkehren.“ Das kam, kurz nachdem der Gründer und langjährige Vorstandschef des Onlinehändlers Amazon.com angekündigt hatte, er wolle am 20. Juli ins All fliegen. Er will beim ersten bemannten Flug des Raumfahrtunternehmens Blue Origin dabei sein, das er neben Amazon gegründet hat. „Seit ich fünf Jahre alt bin, habe ich davon geträumt, in den Weltraum zu reisen“, sagte Bezos. Die Petition hat mittlerweile fast 150. 000 Unterschriften. Ihr Initiator wertet den Weltraumtrip des Amazon-Gründers als Symbol für Ungleichheit und nannte ihn einen „Schlag ins Gesicht der Arbeiterklasse“. Wenn Milliardäre in den Weltraum fliegen wollten, dann sollten sie auch dortbleiben.

Mit dem Flug ins All läutet Bezos gewissermaßen ein neues Kapitel in seinem Leben ein. Denn rund zwei Wochen vorher, am 5. Juli, genau 27 Jahre nach der Gründung von Amazon, gibt er den Vorstandsvorsitz ab. Sein Nachfolger wird Andy Jassy, der bisher das Geschäft mit Cloud Computing in der Sparte Amazon Web Services geführt hat. Bezos will weiter im Verwaltungsrat bleiben und dort in große Entscheidungen eingebunden sein, dennoch ist es für das Unternehmen eine Zäsur, wenn er sich nun ein Stück weit zurückzieht. Bezos ist der Architekt eines der erfolgreichsten Technologiekonzerne der vergangenen Jahrzehnte. Aber so wenig seine unternehmerische Leistung infrage steht: Bezos ist eine streitbare Figur und hinterlässt ein zwiespältiges Vermächtnis.

Vom Buchhändler zum Tech-Tycoon: Bezos im Jahr 1997 in Seattle

Vom Buchhändler zum Tech-Tycoon: Bezos im Jahr 1997 in Seattle : Bild: Getty

Gewinner der Corona-Pandemie

Kritiker halten ihm vor, seine Position als reichster Mensch der Welt habe er in hohem Maße raubeinigen Geschäftspraktiken zu verdanken, die zulasten von Mitarbeitern, Wettbewerbern, Lieferanten und Steuerkassen gehen. Auf seinen Reichtum, der von Forbes derzeit auf fast 200 Milliarden Dollar geschätzt wird, lenkt er nun selbst den Blick, wenn er seinen Teilruhestand mit einem extravaganten Weltraumabenteuer beginnt.

Das gilt umso mehr, weil nur kurz nach der Ankündigung des Trips ein brisanter Bericht des Onlineportals ProPublica erschien, dem zufolge Bezos und andere superreiche Amerikaner gemessen an ihrem Vermögen sehr niedrige Steuern bezahlt haben. In manchen Jahren, als er längst Multimilliardär war, gelang es dem Amazon-Chef sogar, Steuern komplett zu vermeiden. Der Bericht befeuerte in Amerika die Diskussion um eine Vermögensteuer. Eine Befürworterin solcher Abgaben, die Senatorin Elizabeth Warren, sagte kürzlich: „Jeff Bezos’ Fahrt in den Weltraum wird von all den Amerikanern finanziert, die ihre Steuern bezahlt haben, damit er es nicht tun musste.“

Den Vorstandsvorsitz von Amazon gibt Bezos auf der Höhe des Erfolges ab. Der Onlinehändler gilt als einer der größten Gewinner der Corona-Pandemie. Inmitten der Lockdowns liefen seine Geschäfte so gut, dass er im vergangenen Jahr eine halbe Million zusätzliche Mitarbeiter einstellte. Das schlug sich im Aktienkurs nieder und damit auch unmittelbar in Bezos’ Vermögen, das allein 2020 um mehr als 70 Milliarden Dollar anschwoll.

Nicht mehr nur Versandhändler

Unter Bezos ist Amazon zu einem Giganten geworden und hat seinen Aktionsradius mehr und mehr ausgeweitet. Die kleinen Anfänge in einer Garage in Seattle, von der aus er einst Bücher über das Internet verkaufte, sind heute nur noch eine entfernte Erinnerung. Im Laufe der Jahre machte er Amazon zu einem Universalladen, der kaum Wünsche offenlässt und mithilfe eines riesigen Logistiknetzes dafür sorgt, dass Bestellungen innerhalb kürzester Zeit ankommen. Kunden lieben Amazon, der Konzern verwöhnt sie mit einer großzügigen Umtauschpolitik und animiert sie mit dem Prime-Abonnement, wieder und wieder zu bestellen.

Die Ambitionen reichen mittlerweile weit über den Online-Handel hinaus. Amazon macht sich zunehmend im stationären Handel breit, verkauft eigene elektronische Geräte und betreibt einen Videodienst nach dem Vorbild von Netflix, für den kürzlich der milliardenschwere Zukauf des traditionsreichen Hollywood-Studios MGM vereinbart wurde. Das Kronjuwel des Konzerns ist heute die hochprofitable Cloud-Sparte AWS, die mit dem angestammten Onlinehandel nicht mehr allzu viel zu tun hat. Die Börse bewertet Amazon derzeit mit 1,7 Billionen Dollar. Das wird nur von Apple und Microsoft übertroffen.

Der Erfolg hat freilich eine Kehrseite: Sosehr der Konzern seine Kunden auf den Händen trägt, so unerbittlich erscheint er in fast jeder anderen Hinsicht. Aus der Belegschaft kommen immer wieder Beschwerden über die Arbeitsbedingungen, nicht nur in den großen Distributionszentren. Die New York Times zitierte einmal einen früheren Angestellten mit den Worten, er habe fast jeden, mit dem er gearbeitet habe, am Schreibtisch weinen sehen.

Wettbewerber und Geschäftspartner beklagen oft ruppige Methoden. In einer Biographie über den Amazon-Chef heißt es, im Unternehmen sei der Umgang mit kleineren Buchlieferanten einst „Gazellenprojekt“ genannt worden, nachdem Bezos gesagt habe, an diese Partner solle man herangehen „wie ein Gepard an eine kränkliche Gazelle“. Erst vor wenigen Tagen berichtete das Wall Street Journal, Amazon knüpfe Aufträge oft an die ungewöhnliche Bedingung, sich zu möglicherweise günstigen Konditionen an Lieferanten beteiligen zu können.

Keine Steuern trotz Milliardengewinnen

Auch die jüngsten Enthüllungen zu Bezos’ spärlichen Steuerzahlungen kamen nicht aus dem Nirgendwo. Amazon war seit jeher für Steuervermeidung bekannt. Schon die Wahl der Unternehmenszentrale geschah mit Blick auf ein Steuerschlupfloch, das es Händlern erlaubte, beim Verkauf ihrer Waren nur in Bundesstaaten, in denen sie eine physische Präsenz haben, Steuern zu erheben. Bezos hat selbst zugegeben, die vergleichsweise niedrige Einwohnerzahl des Bundesstaates Washington habe für das dort gelegene Seattle gesprochen anstatt etwa für das bevölkerungsreichere Kalifornien.

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2019 erhitzte ein Bericht amerikanischer Steuerexperten die Gemüter, wonach Amazon in den beiden Jahren zuvor auf Bundesebene trotz Milliardengewinnen keinerlei Ertragsteuern an den Fiskus abgeführt habe. Amazon ist auch berüchtigt dafür, bei der Standortwahl für neue Niederlassungen seine Macht auszuspielen und aggressiv Steuergutschriften und andere Anreize einzufordern. Vor ein paar Jahren schrieb der Konzern öffentlich einen Wettbewerb um eine zweite Hauptverwaltung aus und machte deutlich, dass finanzielle Zuwendungen in seiner Entscheidung eine gewichtige Rolle spielen würden. Das hatte den Effekt, dass etliche amerikanische Städte versuchten, sich mit ihren Anreizpaketen für Amazon gegenseitig zu übertreffen.

Kritikerin an die Spitze der Kartellbehörde FTC berufen

Bezos gibt den Vorstandsvorsitz in einer Zeit ab, in der die Macht von Amazon und anderen Tech-Giganten zunehmend kritisch hinterfragt wird, ob in den USA oder in Europa. Im amerikanischen Kongress wurden gerade mehrere Gesetzentwürfe vorgelegt, die erhebliche Folgen für die Konzerne haben könnten. Einer von ihnen sieht ein Verbot von Geschäftsmodellen mit möglichen Interessenkonflikten vor, was für Amazon heißen könnte, keine Produkte mehr unter eigenem Namen verkaufen oder keinen Marktplatz für Drittanbieter mehr betreiben zu dürfen.

Besonders beunruhigend für den Onlinehändler ist, dass eine seiner wortgewaltigsten Kritikerinnen, die Juristin Lina Khan, gerade an die Spitze der Kartellbehörde FTC berufen wurde. Amazon ist offenbar alarmiert und hat vor wenigen Tagen beantragt, die neue Kartellwächterin solle sich wegen Befangenheit aus jeglichen wettbewerbsrechtlichen Ermittlungen gegen das Unternehmen heraushalten. Khan hat einmal geschrieben: „Ohne Zweifel ist Amazon ein kühnes und innovatives Unternehmen, und Jeff Bezos ist ein Visionär. Aber es ist wichtig, festzustellen, dass Bezos sein Imperium zum Teil mittels Praktiken gebaut hat, die vor 50 Jahren illegal gewesen wären.“

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