München Der Autobauer Daimler hat sich binnen eines Jahres vom Verlustbringer zur Gewinnmaschine gewandelt. Vor zwölf Monaten verbrannte der Mercedes-Hersteller infolge der Coronakrise noch viel Geld. In der Bilanz stand zum Halbjahr ein Minus von 1,7 Milliarden Euro. Heute glänzt der Dax-Konzern dagegen in den ersten sechs Monaten bereits wieder mit einem Gewinn von unterm Strich 8,1 Milliarden Euro.
Besser noch: Der Free Cashflow im Industriegeschäft hat merklich vom negativen in den positiven Bereich gedreht. Der Zahlungsmittelüberschuss beträgt hier aktuell 4,4 Milliarden Euro, wie der neue Quartalsbericht zeigt. Zudem ist Daimler wieder auf Wachstumskurs. Der Umsatz nach sechs Geschäftsmonaten ist im Vergleich zum Vorjahr um ein Viertel gestiegen – auf rund 85 Milliarden Euro.
Die Marke mit dem Stern konnte in allen Divisionen punkten. „Bei Mercedes-Benz Cars & Vans haben wir das dritte Quartal in Folge eine zweistellige Marge erreicht und damit die Widerstandsfähigkeit unseres Geschäfts unter Beweis gestellt – trotz der anhaltend geringen Verfügbarkeit von Halbleitern“, sagte Daimler-Chef Ola Källenius.
Der branchenweite Chipmangel führt zwar weiterhin zu kurzzeitigen Produktionsstopps bei allen Autobauern und bremst die Verkäufe. Daimler senkt deshalb sogar die Prognose zum Absatz: Dieser wird nur noch auf Vorjahresniveau erwartet und nicht mehr deutlich darüber. Anleger reagieren darauf enttäuscht. Die Aktien von Daimler sackten am Mittwoch um zwischenzeitlich 2,3 Prozent ab.
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Dabei wirkt sich der Engpass bei Halbleitern aber tendenziell positiv auf die Profitabilität in Stuttgart aus. Der Grund: Daimler priorisiert margenstarke Modelle wie die S-Klasse und wuchtige SUVs wie GLE und GLS bei der Chipzuteilung. Die Folge: Die Umsatzrendite von Mercedes beträgt im ersten Halbjahr stolze 13,7 Prozent.
Daimler nähert sich bei den Nutzfahrzeugen allmählich der Konkurrenz an
Selbst das oft chronisch schwächelnde Lastwagengeschäft zieht derzeit kräftig an. Von Anfang Januar bis Ende Juni konnte Daimler mehr als 218.000 schwere Sattelschlepper und Busse verkaufen. Das entspricht einem Zuwachs von 38 Prozent. Der Umsatz der Sparte legte um ein Viertel zu.
Wichtiger aber noch: Daimler nähert sich bei der Rendite allmählich Konkurrenten wie Volvo Trucks an. Im ersten Halbjahr schafften die Stuttgarter in der Nutzfahrzeugdivision eine Marge von zehn Prozent. Für das Gesamtjahr hat Daimler nun das um Sondereffekte bereinigte Renditeziel des Lkw-Bereichs leicht erhöht – von sieben auf maximal acht Prozent.
Auch bei der Profitabilität seiner Finanzsparte zeigt sich Daimler nun zuversichtlicher. Hier könnte die bereinigte Eigenkapitalrendite auf bis zu 19 Prozent steigen. Zuletzt stellte Daimler lediglich bis zu 15 Prozent in Aussicht. In den ersten sechs Monaten übertraf Daimler Mobility bereits beide Ziele mit einer Rendite von 22 Prozent.
Der stramme Sparkurs, den Daimler-CEO Källenius und Finanzchef Harald Wilhelm dem Konzern verordnet haben, zeigt Wirkung. Die Ergebnisse sind sogar so gut, dass die beiden Kaufleute wieder etwas spendabler werden: Die Ausgaben für Forschung und Entwicklung werden erhöht. Sie dürften dieses Jahr deutlich über dem Niveau von 2020 liegen und nicht wie bisher prognostiziert nur leicht darüber.
Daimler-Betriebsratschef Michael Brecht fordert nun sogar ein Ende des Spardiktats. „Wenn wir volle Auftragsbücher haben und die Gewinne sprudeln: Wie soll die Belegschaft da Verständnis haben für Sparmaßnahmen, die über Jahre laufen sollen?“, sagte der Gewerkschafter der „Automobilwoche".
Källenius lehnt dieses Ansinnen von Brecht aber rundweg ab. „Weder können noch wollen wir das schwäbische Gen des Sparens aufgeben“, erklärte der Konzernchef im Gespräch mit Journalisten. Die Antriebswende weg von Diesel und Benzin hin zu Elektromotoren sei mit erheblichen Kosten verbunden.
Die Margen von batterieelektrischen Fahrzeugen würden absehbar noch eine Weile niedriger sein als jene von Verbrennern. „Die Konsequenz ist, dass wir gleichzeitig an der Effizienz arbeiten müssen, und zwar dauerhaft in allen Kostenarten“, betonte Källenius. In der Dekade der Transformation müssten die Effizienzanstrengungen aufrechterhalten werden. Man dürfe sich nicht ausruhen – auch dann nicht, wenn man zwischendrin finanziell gut dastehe, sagte der Schwede.
Im siebten Quartal in Folge informiert Daimler per Ad-hoc-Mitteilung
Bereits vergangene Woche hatte Daimler wichtige Eckdaten zu seinem Zwischenergebnis bekanntgegeben. Es war das siebte Quartal hintereinander, bei dem der Konzern einen Teil seiner Geschäftszahlen via Ad-hoc-Mitteilung vorab verkündet hat. Das liegt daran, dass zumindest in den vergangenen fünf diesbezüglichen Pflichtmitteilungen das tatsächliche Ergebnis laut Daimler deutlich über den Markterwartungen lag. Folglich sah sich der Fahrzeughersteller dazu veranlasst, seine Anleger unverzüglich zu informieren.
„Natürlich freut man sich als geschundener Daimler-Aktionär über positive Nachrichten“, sagt Marc Tüngler, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW). „Dass die Quartalszahlen immer wieder die Erwartungen der Analysten übersteigen, wirkt allerdings auch wie ein süßes Gift.“ Denn so positiv das Übertreffen der Analystenschätzungen auf den ersten Blick erscheinen mag: Investoren würden sich daran schnell gewöhnen.
„Der Effekt nutzt sich ab, und die Erwartung des Marktes wird zu einer bleiernen Hypothek“, fürchtet Tüngler. „Das rächt sich spätestens dann, wenn Daimler nur noch die Markterwartung trifft – und wird zu einem echten Problem, wenn man sie nicht erreicht.“ Der Aktionärsschützer fordert von den Schwaben daher ein besseres Erwartungsmanagement. Der Konzern stehe über seine Investor-Relations-Abteilung schließlich im steten Austausch mit Analysten.
Daimler hat seine Kapitalmarktkommunikation umgestellt
Tatsächlich neigt Daimler seit jeher zu Extremen in der Kapitalmarktkommunikation. Der Konzern war noch vor ein paar Jahren berüchtigt dafür, seine Aktionäre erst mit großspurigen Renditeversprechen zu verzücken, um sie dann wenig später mit Gewinnwarnungen zu schockieren.
Dieses substanzlose Ankündigungsgebaren („Over-promise and under-deliver“) versucht Daimler-Finanzchef Wilhelm seit seinem Amtsantritt 2019 umzukehren. Er stapelt lieber tief und überrascht später positiv. Doch auch hier besteht die Gefahr, den Bogen zu überspannen. „Daimler selbst sollte dieses Muster zu denken geben“, konstatiert Tüngler.
Der Konzern betont gleichwohl, nicht der Treiber der Vielzahl an Ad-hoc-Meldungen zu sein. Man sei vielmehr an „sehr enge Regeln“ der deutschen Finanzaufsicht Bafin gebunden, sagte CFO Wilhelm: „Das ist ein sehr enges Korsett“ – zumal der Konsensus der Analysten stark schwanke. „Im internationalen Vergleich tut man dem Kapitalmarktstandort Deutschland damit nicht unbedingt einen Gefallen.“ Seine Investor-Relations-Belegschaft nimmt Wilhelm in Schutz. Diese mache einen „fantastischen Job“.
So oder so wirken sich vorab verbreitete Erfolgsmeldungen keineswegs immer positiv auf den Aktienkurs aus. Zwar liegen die Wertpapiere von Daimler im Jahresvergleich um mehr als 75 Prozent im Plus, aber die Stuttgarter sind an der Börse immer noch auf einem niedrigen Niveau unterwegs. „Die Bewertung des Unternehmens ist tragisch“, konstatiert Bernstein-Analyst Arnd Ellinghorst.
Aus seiner Sicht müsste Daimler selbst in einem sehr konservativen Szenario mindestens mit 100 Milliarden Euro bewertet werden. Derzeit liegt die Marktkapitalisierung aber nur bei etwa 75 Milliarden Euro. Mit der Vorstellung einer beschleunigten Elektrostrategie will Daimler freilich bereits am morgigen Donnerstag um neue Investoren buhlen. Und Ende des Jahres soll die Trucksparte via Spin-off von der Pkw-Einheit abgespalten werden.
Durch diesen Schritt hofft Daimler einen großen Mehrwert für seine Aktionäre schaffen zu können. Das sogenannte „Projekt Fokus“ liege jedenfalls voll im Zeitplan, betont Daimler. Voraussichtlich im Oktober sollen die Anleger dem Ansinnen auf einer außerordentlichen Hauptversammlung zustimmen.
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